Wenn einer eine
Reise tut ...
von Knut Juhl
... dann kann er was erzählen.
Dieser Spruch ist schon seit Zeiten Alexander von Humboldt eine beflügelte
Floskel, hier noch einmal von mir stapaziert, um meine Erlebnisse einer
Reise von Bremen in die Hauptstadt von Deutschland zu beschreiben.
Es ist ein Sonnabend im verregneten August im Sommer 2007. Die letzten
Wochen haben dem deutschen Urlauber den Spaß an einem Dasein im
eigenen Land gründlich vermiest. Keine stabile Hochdruckzone wie
im Sommer 2006, die während der WM2006 für eine beispiellose
Werbung für „Urlaub in Deutschland“ gesorgt hatte,
hat sich 2007 eingestellt. Unwetter in Bayern und Franken, landunter
in Schleswig-Holstein und Brandenburg sorgten für Schlagzeilen
in den Gazetten statt Rekordtemperaturen und Dürrewellen. Gerade
wegen des Wetters beschließen meine Familie und ich, den Sommerurlaub
nicht an der Ostseeküste zu verbringen, sondern in einer Privatunterkunft
in Berlin. Meine Familie ist im Auto bereits am Donnerstag vorgefahren,
ich muss aufgrund eines dienstlichen Termins an diesem Sonnabend mit
dem Motorrad nachfahren.
Das Wetter scheint gar nicht so schlecht zu werden: ca. 18-20°C,
gelegentliche Schauern, leichter bis mäßiger Wind aus Nordwest,
für die Reise von Bremen nach Berlin ist es zumindest Rückenwind.
Dadurch, dass ich ein Begleitfahrzeug habe, kann ich mit kleinem Gepäck
fahren. Im Tankrucksack ist nur ein wenig Werkzeug, Getränke für
die Fahrt und für alle Fälle eine Regenkombi. Oben unter der
durchsichtigen Folie ist meine „road-map“. In dicken grünen
Lettern ist zu lesen: Von Bremen aus Landstrasse bis Verden, dann auf
die Autobahn A27 – A7 bis Hannover, weiter über Landstrasse
B188 durch Niedersachsen und Brandenburg nach Potsdam und dann den Rest
über die AVUS nach Berlin.
Ich schnalle den Rankrucksack auf das Motorrad, setze den Helm auf und
durch einen beherzten Tritt auf den Kickstarter starte ich den Einzylinder,
der willig anspringt. Während der ersten Kilometer aus der Stadt
heraus belaste ich den Motor nur gering, ich warte, bis die Öltemperatur
angestiegen ist. Nach etwa 15 Kilometer sehe ich das blaue Autobahn-Schild
und mein Motorrad und ich freuen uns auf die bevorstehenden 70 Kilometer
zweispurige Bahn ohne jede Geschwindigkeitsbegrenzung. Der Beschleunigungsstreifen
ist so etwas wie eine schwarz-weiss karierte Flagge, der „Spass“
signalisiert. Ich gebe im dritten Gang Vollgas, der Einzylinder nimmt
die Aufforderung an und dreht willig bis 100km/h hoch, Blinker links
und ab auf die Bahn. Es ist wie verhext. An manchen Tagen will die R27
niemals im vierten Gang über 100 laufen, dann wieder Tage, wo sie
bereits mit Halbgas die Grenze locker überspringt.
Heute ist solch ein Tag, wo mehr drin ist und ich werde es fordern.
Der vierte Gang ist eingelegt und ich passe mich dem Verkehr am Sonnabend
Vormittag an. Ich überhole locker eine LKW-Kolonne, bleibe dann
aber im Windschatten eines Reisebusses, der mit den vorgeschriebenen
100 km/h und unzähligen hellbraun bekleideten Rentner von Hamburg
Richtung Soltau-Fallingbostel in die blühende Nordheide unterwegs
ist. Ich bleibe erstmal hinter dem Bus. Hinter dem Dreieck Walsrode
wird es dreispurig und der Verkehr wird dichter. Ich sehe viele Kennzeichen
von frustrierten Nordrhein-Westfalen, die ihren dreiwöchigen Urlaub
in der Kälte Dänemarks oder an der Perlenküste Schleswig-Hosteins
verbracht haben. Sicherlich haben sie sich den Sommer 2007 anders vorgestellt.
Der Bus mit mir im Schlepptau hat wiederum eine Kolonne LKW und Wohnwagengespanne
überholt, schert auf die rechte Spur und ich entdecke einen Mercedes
Sprinter, der vor ihm fährt. CDI 313 prangt in roten Lettern auf
der Hecktür des Transporters und zeigt mir damit, dass hier ein
durchaus potenter Windschatten vor mir unterwegs ist. Der Sprinter zieht
ganz nach links und beschleunigt. Ich bleibe dran, die Tachonadel pendelt
bei 120 km/h. Der Wind schiebt von achtern, der Sprinter hat freie Fahrt
und bietet mir und meiner R27 Windschatten von vorn. Kurz Vollgas. Ich
mache mich kleiner, Füße enger an den Motor und den Oberkörper
ein wenig mehr auf den Tankrucksack gelehnt. Im geringen Abstand folge
ich dem Transporter und nach kurzer Zeit steht der Tacho auf kurz vor
140. Boaahhhh. Der Motor schnurrt selbst bei diesen höchsten Drehzahlen.
Ich merke, dass ist noch nicht alles!! Ich gebe dem Motor das letzte
Achtel Gas, Vollgas und somit verkürze ich den Abstand zum Sprinter….145
km/h mit 1.0 Tacho und passender 6/25 Übersetzung. Jetzt kommt
der Drehzahlbegrenzer der MZ-B bei 8000 1/min und es geht einfach nicht
schneller….der CDI zieht langsam davon.
Leider ist der Spass vorbei, weil ein Reisebus die linke Spur blockiert
und die ganze Kolonne zum verzögern zwingt. Nun gut, ich bin seit
einer Stunde unterwegs und wir brauchen eine Pause. Ich sehe das blaue
P-Schild 3km am Strassenrand und lasse mich auf die rechte Spur zurückfallen.
Auf den letzten 500m setze ich den rechten Blinker und lasse den Einzylinder
auf der Verzögerungsspur ausrollen. Gleich auf der linken Seite
ist ein passender Platz im Schatten für mich und mein Motorrad.
Ich halte an, drehe und ziehe den Zündknochen und nehme den Helm
ab. Unbemerkt von mir hält auf der Nebenspur ein dunkelblauer BMW
und lässt die Fahrerscheibe herunter.
Der Fahrer, ein Mittfünfziger, spricht mich an, während ich
mir eine Zigarette anstecke: „Ich habe Sie verfolgt, nur weil
ich ein Tonnenrücklicht gesehen habe. Ich selber fahre eine R50S,
aber ich habe noch nie einen alten Boxer gesehen, der fast 150 km/h
gelaufen ist…… (stotternd) aber das ist ja ein Einzylinder
?!“
Mit einem kopfschütteln schliesst er das Fenster und fährt
von dem Parkplatz. Wir werden es nie erfahren, was er in seinem Club
über Einzylinder erzählt.
So entstehen Mythen ……
Knut
P.S.: Ich werde niemals erzählen, dass meine R27 150 km/h läuft.
Unter normalen Bedingungen, wie kurz darauf auf der AVUS, 120 km/h sind
genug und angemessen.
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