BMW R 26
Entnommen aus bma
12/01
von Konstantin Winkler
Ab 1925
baute BMW seine klassischen Einzylinder- Viertakt-Motorräder mit einem
viertel Liter Hubraum und kopfgesteuerten Ventilen. Und Kardanantrieb
natürlich. Die erste, noch blattgefederte R 39 leistete bescheidene 6,5
PS bei 4000 U/min. Die letzte Zwofuffziger vor dem Krieg, die R 23 (vorne
Telegabel, hinten Starrrahmen), hatte schon 10 Pferdestärken zu bieten.
Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es die R 24, R 25 und R 25/2 mit jeweils
12 sowie die R 25/3 mit 13 PS. Das ausgereifte Ergebnis einer dreißigjährigen
systematischen Forschungs- und Entwick-
lungsarbeit war dann die R 26 Tourensport. So stand es jedenfalls damals
im Verkaufs-prospekt. 1955 war das Wirtschaftswunder endgültig da. Deutschland
baute mehr Autos und Motorräder als Frankreich, 1956 sogar noch mehr als
England. Trotzdem erreichte die R 26 mit 30.238 gebauten Exemplaren nicht
die Stückzahlen der R 25/3, die immerhin 47.700 Mal verkauft wurde. Der
Grund war der Einbruch des Motorradabsatzes Mitte der 50er Jahre.
Preislich lag die von 1956 bis 1960 gebaute R 26 mit 2150 DM nur geringfügig
über der R 25/3: genau 90 DM. Damit war sie nicht gerade billig, aber
ihr Geld wert. Qualität hatte auch damals ihren Preis. Die Zeit der Geradeweg-Federung
war bei den Einzylindermodellen im Jahr 1956 beendet, als die R 25/3 von
der R 26 abgelöst wurde. Das neue Fahrwerk, Vollschwingenfahrwerk genannt,
setzte in punkto Fahrstabilität neue Maßstäbe. Vorne sorgte eine Langarmschwinge
mit zwei Federbeinen und doppelt wirkenden Öldruckstoßdämpfern für Federungskomfort,
hinten saß eine Schwinge mit ölgedämpften, zweifach verstellbaren Federbeinen
im geschlossenen Dreieck-Doppelrohrrahmen aus konischen Stahlrohren.
Optisch
fast unverändert erschien der Motor. Lediglich die Kühlrippen waren etwas
breiter. Und die 240er Zündkerze saß nun auf der rechten Seite. Die zwei
Pferdestärken Mehrleistung gegenüber dem Vorgängermodell resultierten
aus einer von 7,0 auf 7,5 erhöhten Verdichtung, einen um zwei mm vergrößerten
26er-Bing-Kolbenschieber-Vergaser sowie einer besseren Abstimmung des
Ansaugtraktes. Das lange Ansaugrohr im Tank der R 25/3 wurde durch einen
besonderen Ansauggeräusch-dämpfer ersetzt, der gleichzeitig auch als Batteriekasten
diente. Der zuvor seitlich im Tank eingebaute Werkzeugbehälter ist nun
wieder auf der Oberseite zu finden. Eine Messingschraube mit Innensechskant
hält den Inhalt unter Verschluss.
Leistungsexzesse sind der R 26 natürliche fremd. 1956 genügten noch 15
PS bei 6400 U/min, um im Verkehr zügig mitzuschwimmen. Die Angst, den
Berg wieder rückwärts runterzurollen, war damals wie heute unbegründet.
Ganz im Gegenteil, man braucht sich vor mittelschweren Alpenpässen nicht
zu fürchten und schafft es auf der Autobahn sogar, tschechische Lastwagen
zu überholen. Natürlich dauert es, bis der alte Stoßstangenmotor mit seiner
unten liegenden Nockenwelle nicht nur seine Höchstdrehzahl, sondern auch
seine Höchstgeschwindigkeit von 128 km/h erreicht hat. Dieser Wert wird
allerdings nur erreicht, wenn man sich lang macht und zusätzlich noch
die Ohren anlegt. Die damals ebenfalls populäre NSU Max ist nur 2 km/h
langsamer.
Unten herum zerrt der Motor am heulenden Antrieb, hohe Drehzahlen beantwortet
er mit harten metallischen Widerworten. Auch die Schaltbox bevorzugt es,
sinnig bedient zu werden. Das Getriebe ist (wie bei allen BMWs ) in einem
am Triebwerk angeflanschten Gehäuse untergebracht. Exakt, dafür aber manchmal
geräuschvoll, lassen sich die vier Schaltstufen über ellenlange Schaltwege
sortieren. Insbesondere zwischen dem zweiten und dem dritten Gang - egal,
ob hoch- oder runtergeschaltet wird - sind lautmalerische Schaltvorgänge
eher die Regel als die Ausnahme. Auch hat die Temperatur des dickflüssigen
90er Öles direkten Einfluss auf die Geräuschkulisse: je kälter, desto
lauter. An der Ampel traut man sich kaum, in die erste Startreihe vorzudrängeln.
Zu kurz übersetzt ist der erste Gang. Schon bei etwas mehr als Schrittgeschwindigkeit
muss man in den ebenfalls recht kurz übersetzten zweiten Gang hochschalten.
Der Nachteil der beiden äußerst knapp übersetzten ersten Gänge äußert
sich aber nur auf gerader Strecke und in der Stadt. In den Bergen ist
die Abstufung dagegen von Vorteil.
Der Kardanantrieb ist von Haus aus kaum pflegebedürftig, und man kann
sich auf den Ölwechsel laut Herstellervorschrift beschränken. Die spiralverzahnten
Kegelräder verlangen - wie auch das Getriebe - alle 12.000 Kilometer nach
frischem 90er Öl. In den Tank kommen 15 Liter Normalbenzin nebst Bleiersatz,
falls sich der Zylinderkopf im Originalzustand befindet und die Ventile
sowie deren Sitze noch nicht auf „bleifrei” umgerüstet wurden. Sind die
Leerlauf- und Regulierschraube einmal richtig eingestellt, hat man in
der Regel jahrelang keine Probleme mit dem Vergaser. Man darf nur nicht
vergessen, nach jeder Fahrt den Benzinhahn zu schließen. Sonst tropft
es aufs Getriebe. Und nach dem 30. Tropfen ist der Motor dann hoffnungslos
abgesoffen.
Womit wir beim Startvorgang sind: Schwimmerkammer fluten und bei eingeschalteter
Zündung einmal kräftig auf den Kickstarter treten. Und schon läuft der
Motor (meistens jedenfalls). Gas braucht dabei nicht gegeben zu werden.
Besonders der niedrig eingestellte Leerlauf ist Balsam für die Gehörgänge
aller Fans von Einzylindern. 250 Umdrehungen sind minimal pro Minute drin.
Zu diesem Ergebnis bin ich durch das Zählen der Arbeitstakte gekommen,
denn einen Drehzahlmesser gibt es nicht.
Der Schalldämpfer sieht fast aus wie ein Ofenrohr, so groß und dick ist
er ausgefallen. Leider ist das Auspuffgeräusch gegenüber dem Vorgängermodell
viel zahmer geworden und weit entfernt vom satten Schlag der R 25. Das
fiel sogar den Testfahrern damals auf. „Das Motorrad” vom 30. Juni 1956
schrieb dazu: „ ...daß diese geringe Lautstärke geradezu eine Gefahr bedeutet.
Denn es ist ja Hupverbot, kein Mensch aber vermutet ein derart leises
Motorrad - und man selbst hat sich auch schon daran gewöhnt, daß die Leute
einen bemerken. Wenn das Geräuschniveu der R 26 mal für alle Motorräder
zur Norm wird, werden die Fahrverbote von selbst fallen...”
Hinsichtlich der Farbgebung hielten es die Bayern wohl früher mit dem
legendären Henry Ford, der mal gesagt haben soll: „Mir ist jede Farbe
recht, wenn sie nur schwarz ist”. Eine andere als die eben genannte in
Verbindung mit den weißen Zierlinien auf Tank und Schutzblechen ist auch
unvorstellbar für eine alte BMW.
Im Cockpit der R 26 finden Funktionalität, Stil und Extravaganz zueinander.
Der Tacho ist in der Lampe eingebettet und liebevoll mit Chrom umrandet.
Bescheiden fällt die Anzahl der Kontrollleuchten aus: zwei. Eine - natürlich
chromumrandete - grüne signalisiert, dass der Leerlauf drin ist. Und die
andere, die rote, ist für die Batterie.
Bis 140 km/h reicht der Tacho - eine Marke, die nur Hasardeure streifen.
Tempo 128 gibt das Werk als Höchstgeschwindigkeit an, was auch in etwa
der Realität entspricht. Die gerade gefahrene Geschwindigkeit wird nicht
nur am gut ablesbaren VDO-Instrument erkannt, sie ist auch deutlich hör-
und spürbar.
Das Fahrwerk ist schneller als der Motor. Die Federn und Stoßdämpfer sind
so glänzend abgestimmt, dass das Fahrwerk jeden Fahrbahnbelag, egal ob
Asphalt, Kopfsteinpflaster oder Schlaglochstrecken, beinahe gleich gut
nimmt. Auch das Kurvenverhalten ist hervorragend. Lässig und präzise trifft
die BMW die angepeilte Linie und hält sie auch. Spielerisch geht es von
Schräglage zu Schräglage, durch enge Serpentinen und durch weite, schnelle
Bögen. Diese Überlegenheit des Vollschwingenfahrwerks gegenüber dem alten
teleskopgefederten gilt nicht nur für den Solobetrieb, auch als Beiwagenmaschinen
sind die Schwingen-BMWs auf Grund ihrer Verwindungssteifigkeit erste Wahl.
Es war das Schicksal vieler BMWs der 50er- und 60er-Jahre, dass sie ihr
Dasein als Solomaschine begannen und als Seitenwagenmaschien beendeten.
Bei einem viertel Liter Hubraum und 15 PS muss man sich im klaren sein,
dass der Beiwagen nicht viel mehr darstellt als ein im Winter höchst erwünschtes
drittes Rad am Boden. Natürlich ist er auch außerordentlich praktisch,
weil man darin unglaubliche Gepäckmengen und eine dritte Person unterbringen
kann.
Aus einem
Zwei- ein Dreirad zu machen ist bei der R 26 denkbar einfach. Sind am
Rahmen keine Kugelköpfe angeschweißt, wird ein sogenannter Hilfsrahmen
montiert. Vorne wird er an der unteren Motorsteckachse ange-schraubt und
hinten in Höhe der Kardanwelle angeschellt. Jetzt fehlt nur noch der dritte
Kugelkopf, der mit drei Schrauben unter dem Sattel befestigt wird. Sowohl
für den Sozius- als auch den Beiwagenbetrieb sind die Hinterradfedern
mit einem Handgriff vorzu-spannen. Vorne kann man für den Seiten-wagenbetrieb
den Nachlauf verringern, indem man das Schwingenlager in die vordere Lagerung
umsetzt und die beiden oberen Vorderrad- Federbeinbefestigungen in die
unteren Anschluss- bohrungen einsetzt. Der bekannteste Seitenwagenhersteller
der 50er-Jahre war die Firma Steib in Nürnberg. Besonders das Modell LS
200 eignet sich für Kraft-räder bis 250 Kubik. Die Schwingachse des 19-zölligen
Beiwagenrades mit Gummi-Dämpfungs-element und Anschlagbegrenzung sorgt
für etwas Fahrkomfort. Das Boot bietet eine progressive Gummiband-Federung.
Zudem wird der Passagier mit einem gut gefederten Polstersitz nebst Rücken-
und Armlehne verwöhnt. Der anbaufertige LS 200 kostete 1955 genau 450
DM (einschließlich Bereifung). Dafür gab's noch einen abschließbaren Gepäckraum,
hochglanzpolierte Aluminium-Gepäckauflageschienen und eine Stoßstange
mit Fußtrittplatte. Für 17 DM Aufpreis konnte man schließlich eine Staubdecke
und für 20 DM eine Windschutzscheibe ordern.
Großen Einfluss auf die Spitzengeschwindigkeit des R 26-Gespannes hat
die Windschutzscheibe des Beiwagens von Ideal. Während man mit montierter
Scheibe hoffnungslos bei 90 km/h festhängt, klettert das Gespann ohne
mühelos auf Tempo 105, während bergab und mit Rückenwind auch schon mal
115 Sachen drin sind. Da der erste Gang sehr kurz übersetzt ist, kann
man zur Not auch darauf verzichten, den Kegelradsatz auszutauschen. Der
dritte Gang wird im Gespannbetrieb dann zum Hauptfahrgang und der vierte
quasi zum „Overdrive” degradiert.
Klaglos erträgt die alte BMW bei einem zulässigen Gesamtgewicht neben
ihren 158 kg Leergewicht Fahrer, Sozia und den Beiwagen. Und diese halbe
Tonne muss auch - wenn sie sich in voller Fahrt befindet - sicher wieder
zum Stillstand gebracht werden. Der Beiwagen ist ungebremst, d.h., die
beiden Stopper der BMW müssen reichen. Und das tun die beiden Vollnabenbremsen
aus Leichtmetall auch. Sie zeichnen sich zudem durch eine hohe Dauerbelastbarkeit
aus, selbst auf langem Gefälle. Viel bremsen bedeutet aber auch viel Abrieb
an den Belägen. Deshalb sollte man von Zeit zu Zeit die Räder ausbauen
und das Innenleben ausstauben und reinigen. Und vor dem Zusammenbauen
nicht vergessen, die Mitnehmerverzahnung des Kardans abzuschmieren.
Besondere Beachtung verdient auch die Lichtmaschine, die eine spezielle
Schwachstelle aller 250er BMWs ist. Erlischt die rote Kontrollleuchte
bei höherer Drehzahl nicht, bleibt man bald ohne Strom liegen, denn nur
die alten Boxer haben den batterieunabhängigen Magnetzünder. Die Batteriezündung
der R 26 produziert nur mit Saft - sprich sechs Volt - einen zündfähigen
Funken.
Unter Pflege verstehen die meisten Motorradfahrer ein mehr oder weniger
häufiges Waschen, Putzen und Wienern ihrer Maschine. Glänzender Lack und
Chrom ist für viele alles! Ein Putzfetischist bin ich nie gewesen, die
technische Pflege halte ich für viel wichtiger. Da gibt es bei einem Oldtimer
natürlich immer etwas zu tun. Zumal die Wartungsintervalle wesentlich
kürzer sind als bei modernen Maschinen. So muss das Motoröl alle 1500
Kilometer die Ölwanne auf Nimmerwiedersehen verlassen. Die Wechselintervalle
sind deshalb so kurz, weil es damals noch keine Ölfilter für Motorräder
gab. Ein Magnetkopf an der Ablassschraube holt immerhin etwas Metallspäne
aus der Suppe.
Auch die Ventile verlangen alle 1500 Kilometer nach geschickten Schrauberhänden.
Der Ventiltrieb ist für Einstellarbeiten besonders leicht zugänglich.
Nach dem Lösen einer einzigen Schraube kann man den geteilten Ventildeckel
abnehmen. Das Einlassventil hat 0,1 mm, das Auslassventil 0,15 mm Spiel
- das ist mit dem letzten Zweiventil-Boxer R 80 GS Basic indentisch! Sogar
die Ventildeckeldichtung ist die gleiche. Eine zwar kleine, aber wirksame
Erleichterung zur Wartung ist die nach dem Entfernen des Gummipfropfens
von außen sichtbare Marke für die Schwungaradstellung zur Kontrolle von
Ventilspiel und Zündzeitpunkt.
Bordwerkzeug und Fahrerhandbuch sind - wie bei allen BMWs (auch der Neuzeit)
- vorbildlich. Allerdings fehlen im Handbuch Pannentipps. Offenbar hält
man es hier wie bei Rolls Royce: „Bei uns geht nichts kaputt”. Tatsächlich
ist das Pannenrisiko denkbar gering. Während der knapp 20.000 Kilometer,
die ich mit meinen beiden R 26 (sowohl mit als auch ohne Beiwagen) zurückgelegt
habe, musste ich nur ein Mal nach Hause schieben. Ein Kabelbrand hatte
den Regler zerstört und die Stromversorgung lahmgelegt.
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